Interpretationen im Vergleich: Franz Liszts Sonate h-Moll | BR-Klassik (2024)

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Interpretationen im VergleichFranz Liszts Sonate h-Moll

05.02.2019 von Christoph Vratz

    Liszts Klaviersonate h-Moll ist ein Werk an der Grenze zur Fantasie. Oft wurde ihr ein Programm untergeschoben, etwa das einer "Faust"-Sonate. Doch diese Sonate lässt sich nicht auf mögliche programmatische Aspekte reduzieren. Was sie auf jeden Fall darstellt, ist eine technische und gestalterische Herausforderung für jeden Pianisten. Christoph Vratz nimmt einige Einspielungen der h-Moll-Sonate unter die Lupe.

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    Bildquelle: picture alliance / akg

    Der forsche Franz Liszt, Virtuose, Publiku*msliebling, Meister der Selbstinszenierung – ausgerechnet er wartet lange und zaudert, bis er sich an die Gattung Sonate heranwagt. Als Pianist war Liszt mit den Klaviersonaten Ludwig van Beethovens bestens vertraut. Er wusste um ihre Bedeutung, ihre Übermacht und um die Gefahr ihres Erbes. Nachmachen? Ging nicht. Neue Entwicklungen ableiten? Nur mit Vorsicht.

    Tradition und Fortschritt

    Als sich Liszt zwischen 1849 und 1853 endlich traut, steht er vor einer Herkulesaufgabe: Er will Tradition und Fortschritt miteinander verbinden. Sieben Takte umfasst das Einleitungsthema seiner h-Moll-Sonate, bestehend aus hohlen, gespenstisch tönenden Oktaven. Sie bilden sozusagen den Rahmen; denn knapp eine halbe Stunde später beschließen erneut Oktaven dieses Werk. Liszt verzichtet also auf ein großes, virtuoses Finale, er überführt sein Werk in die Stille. Es ist ein Werk an der Grenze zur Fantasie, oft wurde ihm ein Programm untergeschoben, etwa das einer "Faust"-Sonate. Doch diese Sonate lässt sich nicht auf mögliche programmatische Aspekte reduzieren.

    Vladimir Horowitz – stahlharte Kraft

    Schon als junger Mann hatte Horowitz das Werk oft im Programm – sowohl bei seinen Europa-Tourneen als auch bei den ersten Solo-Auftritten in Amerika. Auf diese Weise hat Horowitz nicht unerheblich zur Popularität der Sonate (sowie der seiner eigenen Person) beigetragen. Bei den Aufnahmesitzungen im November 1932 in den Londoner Studios an der Abbey Road konnte wohl niemand ahnen, dass hier Schallplattengeschichte geschrieben würde. Mit derart nervöser Beweglichkeit, stahlharter Kraft und teilweise atemberaubender Geschwindigkeit muss diese Sonate dem Publikum damals als etwas Ungeheures erschienen sein.

    Krystian Zimerman – Gewalt und Lyrik

    Als exemplarisches Beispiel, wie dieses Werk klingen kann, wenn es in seiner Bedeutung ernst genommen, aber nicht mit zu viel Pathos gestaltet wird, soll die Einspielung mit Krystian Zimerman gelten. Der Pole hat die Sonate 1990 festgehalten, und wenn es das Paradox vom kontrollierten Rausch tatsächlich geben sollte, dann hier. Die Zusammenführung von brachialer Gewalt und sanfter Lyrik gelingt Zimermann in seiner Deutung der Liszt-Sonate mühelos. Diese Einspielung wirkt erstaunlich perfekt, es gibt nichts, was wirklich fehlt.

    Emil Gilels – der Filigrantechniker

    Bei Emil Gilels erstreckt sich der Zeitraum seiner 12 Aufnahmen über knapp 27 Jahre, von 1948 bis 1975. Gilels hält der zirzenischen Magie wie sie Horowitz entfaltet, mühelos stand. Die Filigrantechnik, über die Gilels verfügt, die Trennschärfe seines Anschlags, die Gegenüberstellung von Melodie- und Begleitstimmen sowie die bruchlosen Übergänge von flüssig-elegant hin zu eckig-rhythmisierend verhelfen unter Gilels Fingern der Liszt'schen Sonate zu einer ästhetischen Beglaubigung als Ausnahme-Kunstwerk.

    Ivo Pogorelich – zwischen sphärisch und skurril

    An manchen Haltepunkten oder Umschlagstellen wartet Ivo Pogorelich, bis die Spannung nicht größer sein kann. Als wolle er entweder ausscheren und/oder Liszt von Zwängen befreien. Selten hat die h-Moll-Sonate so improvisiert geklungen wie hier, zerbrechlich und ins Sphärische entrückt auf der einen Seite, unheimlich, skurril und naturkatastrophenhaft auf der anderen.

    Jorge Bolet – wohltuende Gelassenheit

    In den 1980er Jahren hat Jorge Bolet für die englische Decca eine Reihe von Liszt-Einspielungen vorgelegt, darunter 1982 auch eine mit der h-Moll-Sonate. Schon 1960 hatte er die Sonate aufgenommen. Selbst im Lauten beweist Bolet stets ein Maß an Gelassenheit, das wohltuend und beispielhaft wirkt. Immer hat man das Gefühl, dass selbst im Fortissimo noch eine Reserve wohnt. Das wiederum garantiert eine seltene Schönheit des Klangs; gleichzeitig verrät Bolets Spiel einen sprachlichen Duktus, der vom Gesang herkommt und den es nicht zu verletzen, sondern lebendig zu halten gilt.

    Sendung: "Interpretationen im Vergleich" am 26. Februar 2019ab 20.05 Uhr auf BR-KLASSIK – hier die ganze Sendung zum Anhören.

    Interpretenliste der Sendung "Interpretationen im Vergleich" mit Liszts h-Moll-Sonate

    Alfred Cortot
    Naxos (1929)

    Vladimir Horowitz
    Naxos (1932) / Sony (1949)

    Emil Gilels
    Brilliant Classics (1949, 1965)

    Géza Anda
    Membran (1954)

    Leon Fleisher
    Sony (1959)

    Van Cliburn
    Profil (1960)

    Jorge Bolet
    Alto (1960) / Decca (1982)

    Julius Katchen
    Audite (1962)

    Clifford Curzon
    Decca (1963)

    Swjatoslaw Richter
    Decca (1966)

    Claudio Arrau
    Philips (1970, 1985)

    Martha Argerich
    Deutsche Grammophon (1971)

    Krystian Zimerman
    Deutsche Grammophon (1990)

    Ivo Pogorelich
    Deutsche Grammophon (1990)

    Michael Korstick
    cpo (1997)

    Mikhail Pletnev
    Deutsche Grammophon (1997)

    Boris Berezovsky
    Mirare (2009)

    Lars Vogt
    Berlin Classics (2009)

    Daniil Trifonov
    Deutsche Grammophon (2013)

    Angela Hewitt
    Hyperion (2014)

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      FAQs

      What is the theme of the sonata by Liszt? ›

      The Sonata is an allegory set in the Garden of Eden; it deals with the Fall of Man and contains "God," "Lucifer," "Serpent," "Adam," and "Eve" themes. The Sonata has no programmatic allusions; it is a piece of "expressive form" with no meaning beyond itself.

      How hard is the Dante Sonata? ›

      It represents the pinnacle achievement of the Italian Years and it is considered one of the most difficult pieces to play from the standard repertoire. It ranges from virtuosic, brilliant passages to sincerely moving emotional statements.

      How was Franz Liszt like Mozart? ›

      Like Mozart, he pushed virtuosity to utmost limits. Like Mozart, he was seen by many as an iconic figure of German nationalism. In later life, Liszt took comfort from the fact that Mozart, his illustrious role-model, was not spared bitter experiences.

      What does the sonata represent? ›

      Deriving from the past participle of the Italian verb sonare, “to sound,” the term sonata originally denoted a composition played on instruments, as opposed to one that was cantata, or “sung,” by voices. Its first such use was in 1561, when it was applied to a suite of dances for lute.

      What is the primary theme of the sonata form? ›

      The primary theme (P) zone or space presents the initial musical material of the sonata, excluding an optional introduction which is not considered part of the sonata form proper.

      What grade is Mozart sonata? ›

      Con Brio Examinations (CBE) Syllabus - List of Exam Pieces Composer | Mozart,
      Sample VideoMusic NameGrade
      PlayMozart - Allegro Maestoso 1st Movement from Sonata in A Minor K310Grade 8
      PlayMozart - Rondo in F Major K494Grade 8
      PlayMozart - 1st Movement from Sonata K457Grade 8
      PlayMozart - Sonata K545Performance Diploma (PCBE)
      73 more rows

      What is the difficulty of Liszt sonata? ›

      It is a very demanding piece, not only technically but also musically. Technically, I would not call the piece the most difficult in the repertoire; most of Liszt's music is fairly accessible for advanced-level pianists, as his music is very pianistic in nature and fits the hand quite easily.

      What level is Beethoven Tempest sonata? ›

      ComposerLudwig van Beethoven
      TitleSonata No 17 in D minor Op 31 No 2 (Tempest)
      Grade10 (Licentiate Diploma - LMusNZ)
      SyllabusNZMEB PP
      PS Rating10
      2 more rows

      Who did Franz Liszt fall in love with? ›

      The pianist began a relationship with Countess Marie d'Agoult in 1834. After the married Marie became pregnant with Liszt's child, the couple lived for a time in Switzerland and then Italy.

      Which composer did not like Mozart? ›

      Salieri vs Mozart

      Thanks to Amadeus, the play by Peter Shaffer which sees Salieri confessing to poisoning the composer, and Pushkin's Mozart and Salieri, a short drama about envy, the two have become lumbered with the most misrepresented musical relationship of all time.

      What did Beethoven say to Liszt? ›

      At this point Beethoven put his hand on the head of the boy, stroking his hair. “A devil of a fellow,” he said, “a regular young Turk!” Young Liszt, getting brave, asked if he can play something from him. Beethoven nodded. He played the first movement of the C-major Concerto.

      Which concept describes the main themes in sonata form? ›

      The exposition section of a sonata form presents the main thematic material as well as the complementary key areas in which the themes are presented. In its most essential form, the exposition will consist of one theme in the home key and a different theme in a secondary key with a transitional passage in between.

      How many themes does a sonata have? ›

      Very often, a movement in sonata form has two clearly defined main themes, for example the first movement of Mozart's Symphony No. 41 in C Major, K 551 (1788; Jupiter). It may also have only one, like the first movement of Haydn's Symphony No.

      Which theme in the sonata form is in the tonic or primary key? ›

      The main theme is in the tonic key and the subordinate theme is usually in the dominant in a major key (or the relative major in a minor key). The transition provides the modulatory link between the tonic and dominant key areas.

      What is the subordinate theme of a sonata? ›

      Subordinate theme module (S)

      The chief function of S, which is in the subordinate key of the sonata, is to lead to a PAC in that key — the essential expositional closure (EEC).

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